so viele Leben war es mir verwehrt zurückzukehren
jetzt spüre ich die Erde unserer Vorfahren unter meinen Füßen
sie ist mir zugeneigt
sie lädt mich ein zu verweilen
frei zu sein
mich gehen zu lassen
ohne Angst ohne Hemmungen
es ist Zeit zurückzukehren
sich zu erinnern an das was war
an das was vergessen ist
Köln, 2009
Verschlungene Pfade
Diese Zeilen schrieb ich vor nun mehr als 15 Jahren. Seitdem forsche ich zu Kelten, später zu Megalithen und schamanischen Kulturen. Immer tiefer ins Bewusstsein führt mich diese Reise. Sie zeigt mir Wege auf, die oft steinig und holprig sind. Diese Pfade sind die Würze des Lebens. Sie verlaufen wie Schlangenlinien und entbehren oft der materialistischen Logik, die unser Weltbild beherrscht.
“Hast du keine Angst?”, “Spinnst du?” Das sind einige der Reaktionen in meiner Umgebung, als ich 2010 beschloss ein Beamtenverhältnis als Studienrätin in Köln zu kündigen. Mit meinem Mann zogen wir nach Toulouse in Südwest-Frankreich, weil das Bedürfnis mich der Natur zu nähern überwältigend war. Und nein, ich hatte keine Angst, sondern war neugierig.
Die nahegelegenen, wunderbaren Berge der Pyrenäen berauschen uns seitdem mit ihren lieblichen Landschaften und ihrer Vielfältigkeit. Zwischen dem Atlantik und dem Mittelmeer, zwischen Frankreich und Spanien. Wir müssen nicht in die Anden oder in den Himalaya reisen, um uns dort mit alten Orten zu verbinden. Es gibt sie genauso in Europa, wir haben sie nur vergessen.
Kelten und Germanen: So innen wie außen
Wenn wir unsere Geschichte (auch mittels archäologischer Stätten) erforschen, verstehen wir, dass die vorrömischen Kulturen in Europa sehr ähnlich den indigenen Kulturen der heutigen Zeit waren. Die Völker der Kelten und Germanen fielen dem Siegeszug Cäsars und dem christlichen Missionierungseifer zum Opfer und wurden assimiliert. Ob sich die Gebräuche der Kelten und Germanen sehr unterschieden, ist strittig (Quelle: Francia). Offenkundig waren sie mit der Natur eng verbunden und lebten im Einklang mit ihr. Sie sahen die Natur, innen wie außen nicht als Bedrohung, sondern als Freundin.
In Gedenken an den Geburtstag meiner Mutter.
Am 2. Februar ist das alte keltische Fest Imbolc (im christlichen Glauben Lichtmess), welches den Übergang vom Winter in den Frühling feiert und der Göttin Brigid gewidmet ist.
Die innere und äußere Natur als Feind wahrzunehmen ist ein Konstrukt der katholischen Kirche, die vor allem das Weibliche, das Erdhafte, das Sinnliche als bedrohlich empfindet. Die Erbsünde, die Weiblichkeit von Geburt an verteufelt und uns Schuldgefühle vermittelt, ist frauenfeindlich. Die Inquisition rechtfertigte Folter und Hinrichtungen mit der Erbsünde und brachte unendliches Leid über die weisen Frauen und Heilerinnen des Mittelalters.
Die Beziehungen zwischen Weiblichkeit, Natur, Heiligkeit und der Muttergöttin wurden damit ins kollektive Vergessen gedrängt. Heute sind wir mit dieser inneren Archäologie beschäftigt und versuchen diese heilenden Strukturen wiederzuerkennen und ins Licht zu führen. Unzählige (Selbst)Heilungbücher, esoterische Kongresse, Meditationsangebote und Gurus zeugen davon.
Freya – die ungezähmte Göttin
Warum ist die Dreifaltigkeit im christlichen Glauben ausschließlich männlich? Es gab die drei Matronen in vorrömisch, -christlichen Zeiten in Köln und der Eifel. Weibliche Göttinnen Statuetten sind die häufigsten Repräsentationen spiritueller Verbundenheit im Alten Europa zwischen 6.000 – 3.500 v.u.Z. (Quelle: Gimbutas).
Die vorrömisch, -christliche Muttergöttin unseres Kulturkreises ist Holle und sie ist umgeben von einem wunderbaren Göttinnen Pantheon (Quelle: Foucher), welcher dem griechisch-römischen in nichts nachsteht. Meine Lieblingsgöttin ist die wilde Freya, welche Energiefluss und Naturphänomen zugleich ist. Sie verkörpert für mich diese tiefe weibliche Energie, der ich mein Fotoprojekt “Deep Feminine” widme. Es gibt kein Abbild von Freya, jedoch kann sie erspürt werden. Sie lebt an alten Orten, dort können wir ihr nahe sein.

Schützt alte Orte!
Die alten Stätten sind zunehmend in Gefahr. Wir verbrauchen unsere Erde seit der industriellen Revolution vor 180 Jahren unerbittlich. Heilige Kraftorte in der Natur und Kulturlandschaft sind bedroht durch den rasanten Ausbau von Infrastrukturen, industrieller Land- und Forstwirtschaft. Alte Bäume werden in rasendem Tempo abgeholzt und zu Pellets verarbeitet. Welch ein Irrsinn zu glauben, man könne mit Holz unseren gigantischen Energiehunger stillen. Ich bin für ein Verbot des Abholzens von Bäumen, die älter als 150 Jahre sind. Wie können wir kurzlebigen Menschen uns anmaßen, über ein wesentlich älteres Lebewesen ein Todesurteil zu fällen?
In Frankreich sind weniger als 2% der Waldflächen ursprünglicher Wald. Es werden immer mehr schnellwachsende Wälder in Monokulturen und Altersklassen gepflanzt. Oft sieht man riesige Parzellen, die kahlgeschlagen wurden und selbst die Wurzeln mit Baggern brutal aus der Erde gerissen, um auch sie zu Pellets zu verarbeiten. Dadurch gehen wertvolle Nährstoffe und Regenerationspotentiale des Waldbodens unwiederbringlich verloren.
Nur wenn ein Ort lange ungestört ist, egal ob es sich um einen heiligen Hain, um eine kleine Kultstätte oder Kapelle, einen alten Baum oder ein megalithisches Bauwerk handelt, kann sich die zarte Energie der Göttin manifestieren. Diese Orte nehmen wir dann als besonders war. Im Augenwinkel meinen wir eine Fee oder einen Zwerg im Unterholz zu sehen. Hier lässt es sich gut ausruhen, meditieren, schmusen und wohl sein. Ihr erkennt sie an den moosbegrünten Ästen und Steinen, an alten knorrigen Ästen, an dem Charme etwas abgeblätterter Farbe an der Kirchenmauer und den wilden Blumen, die in den Ritzen der steinernen Bodenplatten wachsen.
Desto weniger Menschen an diese Orte kommen, desto stärker bleibt die Energie erhalten. Ausgenommen hiervon sind Zeremonien an diesen Plätzen, die den Ort energetisieren. Vergessene Kraftplätze sind vielleicht nicht so spektakulär wie ihre berühmten Pendants Lourdes, Chartres oder Stonehenge. Jedoch kann man sich dort mit den natürlichen Energien leichter verbinden.
Jede:r von uns kann sich an solchen kleinen, jedoch wichtigen Orte einbringen und sie schützen.

Vielen Dank an meine Lektorinnen, Britta (Deutsch), Lorna (Englisch) und Cathy (Französisch). Originaltext auf Deutsch.
Quellen:
Claudine Cohen “La femme des origines. Images de la femme dans la préhistoire occidentale, Éditions Herscher, 2003.
Joanne Foucher “Unsere heimischen Göttinnen neu entdecken”, Saarbrücken 2001.
Luisa Francia “Die Göttin im Federkleid. Das weibliche Universum bei Kelten und Germanen”, München 2010.
Marija Gimbutas “Göttinnen und Götter im Alten Europa. Mythen und Kultbilder 6500 – 3500 v. Chr.” Uhlstädt-Kirchhasel, 2010
Fred Pearce “A Trillion Trees: How We Can Reforest Our World”, 2021.
https://www.foretsanciennes.fr/quest-ce-quune-foret-ancienne/foret-primaire/
https://www.parcsnationaux.fr/fr/des-connaissances/foret/les-forets-anciennes
Dévoreuse de forêts, la centrale de Gardanne reçoit encore une aide de l’État, Reporterre, 20 janvier 2025.
Pourquoi un arbre centenaire a-t-il été abattu dans le quartier de Casselardit à Toulouse ? La Dépêche, 23/08/2024.